DFG-Forschergruppe Natur
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"Natur in politischen Ordnungsentwürfen: Antike ‒ Mittelalter ‒ Frühe Neuzeit" (FOR 1986)

In der März-Sitzung 2013 hat der Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) die Einrichtung acht neuer Forschergruppen beschlossen, darunter die an LMU München und TU München angesiedelte Forschergruppe "Natur in politischen Ordnungsentwürfen: Antike – Mittelalter – Frühe Neuzeit". Nach Abschluss der erfolgreichen ersten Förderphase (2013-2016) ist die Forschergruppe im Herbst 2016 in die zweite, ebenfalls auf drei Jahre angelegte Förderphase gestartet.

Ziel der Forschergruppe ist es, die Funktionen von Naturvorstellungen in politischen Ordnungsentwürfen von der Antike bis zur Frühen Neuzeit zu untersuchen. Durch die Zusammenführung von rechts- und geschichtswissenschaftlichen mit theologischen, philosophischen sowie literatur- und kunstwissenschaftlichen Perspektiven will die Gruppe Konzeptualisierungen von Natur in ihrer politisch-gesellschaftlichen Dimension als historischen Gegenstand neu konturieren. Quer zu disziplinären Wahrnehmungsgewohnheiten und gängigen Text- und Bildkanones sollen diskursive Komplexe der politischen Funktionalisierung von Natur so erschlossen werden, dass synchrone Vielschichtigkeit und diachrone Variabilität dieser Komplexe ebenso prägnant und umfassend hervortreten wie die Bedingungszusammenhänge ihrer nachhaltigen historischen Wirkungsmacht.

Der gemeinsame Fokus liegt in der Konzentration auf das Politische als Zentrum einer gesellschaftlichen Reflexion, die sich sowohl in unterschiedlichsten Diskursen als auch in vormoderner herrschaftlicher Praxis ausprägt. Zur Diskussion stehen damit in erster Linie Bestimmungen des Menschen als animal politicum sowie Verhandlungen von Gemeinschaftsbegründung und Machtverteilung, von Herrschaftslegitimierung, Gesetzesgeltung und staatlicher Institutionalität. Wer sich in solchen Verhandlungen auf Natur beruft, der unterstellt Zustände, Faktoren und Prozesse, die menschlicher Intention und Handlung gerade nicht verfügbar sind. Wer soziokulturelle und politische Sachverhalte im Rekurs auf Natur modelliert oder reflektiert, der löst die Paradoxien des Begründens (oder des Bestreitens) fundamentaler Geltungsansprüche und der Legitimation (oder Delegitimation) von Ordnungsprinzipien, indem er diese Ansprüche und Prinzipien auf Ursprünge vor der Ordnung oder auf Unverfügbarkeiten außerhalb der Ordnung verschiebt.

Berufungen auf Natur nutzen solche basalen Diskursstrategien mutatis mutandis vom Altertum bis heute. Tatsächlich ist hier der juristische Sinn von "Berufung" triftig, denn die Natur fungiert als eine Art höherer Gerichtshof an der Bruchlinie von Immanenz und Transzendenz – und diese diskursive Funktion entfaltet ihre Leistung gerade dadurch, dass "Natur" diese Bruchlinie "heilen" kann, ohne sie zu annullieren: Mit Hilfe der Natur kann die Autorität eines (strukturell) transzendenten Standpunkts suggeriert werden, ohne dass zugleich der Horizont immanenter Erkenntnis überschritten werden müsste. Dementsprechend ist das Verhältnis dieser Berufungsinstanz zur Sphäre des Überirdischen und Göttlichen unbeständig: Mal scheinen beide einander harmonisch zu ergänzen (Natur erscheint dann z.B. als Äußerung des göttlichen Willens), mal erscheinen sie inkompatibel, und gelegentlich werden sie nachgerade ununterscheidbar.

Um die Darstellung und Funktionalisierung von Naturvorstellungen untersuchen zu können, darf der analytische Zugriff politische Ordnung nicht für einen statischen Zustand halten, der seiner Diskursivierung und seiner Manifestation in Praxen stets schon voranginge. Der Frage, wie Ordnungen konstituiert werden – über Institutionalisierungen, Symbolisierungen, Rituale, Normen und Werte –, haben sich in den letzten Jahren verschiedene Forschungsverbünde gewidmet, an deren Diskussionen die Forschergruppe anknüpfen kann. Dabei geht es ihr nicht um eine Ontologie von Ordnung, sondern – zugespitzt auf ihre Leitfrage nach der Fundierung von Ordnungsleistungen im Rückgriff auf "Natur" – um Ordnungsbehauptungen, Geltungsansprüche und Geltungskonkurrenzen, um Formen der Autorisierung und Habitualisierung. Grundannahme ist dabei das Prozesshafte von Ordnungen, sowohl in ihrer instrumentellen, praxisbezogenen Dimension als auch hinsichtlich der Formen ihrer symbolischen Repräsentation. Dementsprechend ist für die Forschergruppe die Unabgeschlossenheit der ihren Gegenstand bildenden Ordnungsdiskurse und Praxen von entscheidender Bedeutung – also das Moment des "Entwurfs". Nur von diesem Entwurfscharakter her können nämlich jene Mechanismen, mit deren Hilfe die Geltung von Ordnung durch Natur begründet oder bestritten wird, in ihren Problematiken, inneren Spannungen, ja Selbstwidersprüchen präzise beschrieben werden.

"The Role of Nature in Conceptualising Political Order: Ancient ‒ Medieval ‒ Early Modern" (FOR 1986)

This research group aims to explore the role and diverse meanings of nature in conceptualising political order from antiquity through the Middle Ages to the early modern period. By combining the perspectives and expertise of different disciplines – history, politics and law, theology and philosophy, art history and literary studies – the group will bring an innovative approach to premodern conceptualisations of nature in their socio-political dimensions. Crossing disciplinary boundaries and habits of perception and looking beyond canonical texts and images, we propose to examine the discursive functionalisations of nature in such ways as to illuminate both their synchronic variation and diachronic changes and reveal the conditions of their long-term historical impact. The common focus of the group's research is its concentration on the political as the centre of a societal reflection whose shaping power expresses itself in a variety of premodern discourses and practices of rulership. What is at issue, then, are definitions of man as a political animal, debates on the foundations of community, social hierarchy and the distribution of power, on the legitimacy of government, the authorisation of law and state institutions. When 'nature' is employed to bolster specific concepts of political order, the polysemy of the term is rarely ever reduced to a single, unequivocal meaning. The argumentative force of the term, rather, derives from its semantic overdetermination, which offers a well-nigh inexhaustible resource for making (political) sense. But just as remarkable as the semantic mutations and adaptability of 'nature' are the continuities of its use from the ancient world up to the threshold of modernity. The group’s combination of projects and the interactions between them are designed to do justice not only to the synchronic polysemy and diachronic changes of 'nature' but also to the persistent authority and evidence-generating power of a small ensemble of basic ideas associated with the term.