DFG-Forschergruppe Natur
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TP 3: Politische Anthropologie der Tierepik

Prof. Dr. Michael Waltenberger

Projektmitarbeiter:

Jan Sebastian Glück, M.A.

Kathrin Lukaschek, M.A.

Maximilian Wick, M.A.

Wissenschaftliche Hilfskraft: Franziska Ascher, M.A.

Die Legitimität von Königsherrschaft bleibt in der politischen Praxis des Mittelalters stets prekär: Der Machtanspruch des Königs ist durch konkurrierende Ansprüche bedroht, und seine Herrschaft muss ständig neu durchgesetzt und abgesichert werden. Gerade die Kopplung des Politischen an die Moral erhöht dabei die Wahrscheinlichkeit von Rivalitäten und Rebellionen: Ein Herrschaftsanspruch ist stets mit moralischen Argumenten bestreitbar, für die es keine immanente Entscheidungsinstanz gibt. Dabei treten – zumindest für einen modernen wissenschaftlichen Beobachter der vormodernen Kultur – Kontingenzen und Paradoxien von Ordnungsbegründungen zutage, welche in den zeitgenössischen theoretischen Entwürfen so nicht sichtbar werden.

Vor diesem Hintergrund befasst sich das Teilprojekt mit einem literarischen Feld, in welchem dieses Konfliktpotential durchaus prägnant imaginiert und bearbeitet wird: In der lateinischen und volkssprachigen Tierepik, die wir mit Blick auf die Spezifik ihrer fiktionalen Dispositionen strikt von der (kurzepischen) Tierfabel unterscheiden, können Sozial- und Herrschaftsmodelle, Machtkonfigurationen und politische Handlungszusammenhänge auf solche Weise entfaltet werden, dass deren transzendente Dimensionen abgeblendet und deren immanente Begründungen und Geltungsansprüche dafür hervorgehoben werden. Komplementär dazu lockert sich in der tierepischen Erzählwelt auch die Verankerung des Politischen in der menschlichen Natur: Hinsichtlich ihrer humanen Verhaltensweisen könnte man den Akteuren die Moralität des Geschöpfs Mensch zurechnen. Zugleich aber weist nicht nur das Handeln, sondern auch das Begehren, Denken und Reden der Akteure stets zurück auf ihre Tiernatur als irreduziblen Grund – mithin auf ein natürliches Fehlen des Spannungsraums der Moral.

Auf diese Weise konturiert sich ein eigenständiger, spezifisch narrativer Diskurs politischer Anthropologie, dessen analytische Erschließung unter besonderer Beachtung folgender Leitaspekte zu leisten ist: a) die narrativ je verschieden akzentuierte, letztlich irreduzible Spannung zwischen der Naturnotwendigkeit des tierischen Verhaltens und menschlicher Intentionalität; b) die Labilität der fundamentalen Unterscheidung zwischen legitimer und illegitimer Gewalt; c) die Ambivalenz einer ‚natürlichen‘ Listklugheit des Fuchses; d) die intrikaten Wechselbeziehungen zwischen Sprache und Gewalt, wobei letztere (auch) als Medium der Kommunikation, erstere (auch) als Modus einer ‚verletzenden‘ Aggressivität in den Blick kommt; e) die je unterschiedlichen Binnendifferenzierungen der Tiergesellschaft und die Modellierungen von ‚Außengrenzen‘ des Tierreichs; f) die diachrone Entwicklung des politischen Diskurses der Tierepik vom Mittelalter in die Frühe Neuzeit.